staatlich anerkannte Privatschule
Mädchenrealschule, Mädchengymnasium, Ganztagsschule Home Lageplan Kontakt Impressum/Datenschutz
Schule  Gemeinschaft  Gymnasium  Realschule  Orientierungsstufe  MSS  GTS  AGs  Nachrichten  Termine  Service 
  
 

Ein ergänzendes Kapitel zu "Faust" (Goethe) · 24. Februar 2021

»Faust – Der Tragödie erster Teil« (»Faust I«) ist ein Drama von Johann Wolfgang von Goethe aus dem Jahr 1808. Ort der Handlung ist Deutschland um das Jahr 1500. Das Werk verknüpft zwei Handlungsstränge: die »Tragödie des Gelehrten Faust« und die »Gretchentragödie«. Hauptperson ist der Wissenschaftler Heinrich Faust, der nach Erkenntnis strebt und unfähig ist, sein Leben zu genießen. Aus diesem Grund schließt er einen verhängnisvollen Pakt mit dem Teufel und verspricht diesem seine Seele. Damit stürzt Faust _auch das unschuldige Gretchen ins Unglück._

Liebes Tagebuch, Sonntag, den 29. März 2020
nun hat es mich auch erwischt und ich muss in Quarantäne. Bärbel, eine gute Freundin von mir ist positiv auf das Corona-Virus getestet worden und das macht mich zur einer Kontakperson ersten Grades, weil ich mich noch am Freitag mit ihre getroffen habe.
Diese Quarantäne könnte zu keinem schlechteren Zeitpunkt kommen. Seit Kurzen weiß ich, dass ich schwanger bin und eigentlich habe ich damit tausend andere Probleme und keine Zeit, mich um ein blödes Virus zu kümmern. Symptome habe ich bis jetzt keine, aber wenn ich ehrlich bin, fände ich es in diesem Moment gar nicht so grauenhaft, wenn mich das Virus dahinraffen würde.
Wie in Gottes Namen soll ich aus diesem Schlamassel wieder herauskommen? Ein uneheliches Kind – und dann auch noch von Faust, den ich zwar liebe, aber der erstens viel älter ist als ich und dann auch noch ein überaus beschäftigter Gelehrter, gerade befasst er sich beispielsweise mit der Herstellung eines Impfstoffes. Das weiß ich natürlich nicht von ihm selber, oh nein, denn seit unserer Liebesnacht ist er so gut wie verschollen und hat den Kontakt zu mir abgebrochen. Ich habe ihn nach dieser schicksalhaften Nacht nur noch ein einziges Mal zu Gesicht bekommen und dieses Treffen verlief äußerst unschön. Ich erzählte ihm von unserem gemeinsamen Kind in meinem Leib und fragte ihm um Rat, doch er verhielt sich mir gegenüber vollkommen kalt und wimmelte mich ab. Er könne keinerlei Verantwortung für das Kind übernehmen, zumal ich selbst noch ein Kind. Ich, ein Kind, ist das zu glauben? Ich fasse es nicht, wie unglaublich naiv ich war, ich habe wirklich geglaubt, meine Gefühle zu Faust beruhten auf Gegenseitigkeit. Ich habe gedacht, unsere Liebe hätte eine Chance.
Nun bin ich ganz alleine. Meine Mutter und mein Bruder sind tot meinetwegen, meine Freundinnen darf ich nicht sehen, um sie nicht aus Versehen zu infizieren und Faust ist keine Hilfe, sondern ein egomanischer Taugenichts. In die Kirche, meinen einzigen Zufluchtsort, kann ich auch nicht, weil alle Gottesdienste bis auf weiteres auf Grund des Virus abgesagt sind und ich meine Wohnung ja sowieso nicht verlassen darf. An wen soll ich mich wenden? Was für eine Zukunft haben ich und dieses Ding in mir? Ich kann mich ja kaum selbst über Wasser halten, wie soll ich mich um einen anderen Menschen kümmern? Ich wünschte, es wäre nicht da, dann wäre ich frei und könnte von vorne anfangen. Ironisch, dass der Tod gerade wie mein einziger Ausweg scheint und ich möglicherweise tatsächlich mit einem tödlichen Virus infiziert bin. Vielleicht meint es Gott ja gut mit mir und befreit mich aus meiner misslichen Lage. Erlösung durch den Tod – dieser Gedanke fühlt sich auf einmal himmlisch an. Macht mich das zu einem schlechten Menschen? Müsste ich nicht eigentlich voll Freude über dieses Kind sein und es lieben? Müsste ich nicht seinetwegen alles in meiner Macht Stehende tun, um ihm ein gutes Leben zu bereiten? Alles, was ich weiß, ist, dass ich dieses Kind nicht will und mich schrecklich einsam und verloren fühle. Ich bin ganz allein mit meinen Gedanken und Gefühlen, ich spüre nichts außer Angst und Leere in mir. Und in dieser Situation muss ich nun noch zwei Wochen verharren, wie fürchterlich!
Gretchen

Liebes Tagebuch, Freitag, 10.04.2020
nun ist meine Quarantäne fast vorbei und ich muss sagen, dass die Zeit zunächst hart war. Ich hatte keine Motivation aufzustehen und lag den ganzen Tag in meinem dunklen Zimmer im Bett. Ich habe nichts gegessen und habe die meiste Zeit des Tages vor mich hingedöst. In meinem Kopf spukten nur negative Gedanken und wusste keinen Ausweg aus der Gedankenspirale, die mich hinunterzog. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn ich nicht einmal aufgestanden wäre, um mir ein Glas Wasser zu holen. Auf dem Weg in die Küche fiel mein Blick plötzlich auf das Schmuckkästchen, das Faust einst bei mir versteckte. Es erinnerte mich an die Zeit, als wir uns gerade kennengelernt hatten und alles noch frisch und aufregend war. Damals war ich noch unbedarft und verliebt. Ein Teil von mir wünschte sich, in der Zeit zurückzureisen und wieder das naive junge Gretchen zu sein, das Faust vertraute und sich von ihm verführen ließ. Doch gleichzeitig erfüllte mich eine unglaubliche Wut auf Faust und auf die Welt, auf die Engstirnigkeit der Gesellschaft, die mein uneheliches Kind und meine Beziehung zu Faust niemals akzeptieren würden und auf das Virus, das neue Probleme schafft und unsere Welt ins Chaos stürzt. Ich war wütend auf alles und jeden, doch diese Wut war genau das, was ich brauchte, um mich aus meiner Lethargie zu reißen.
Ich schaffte es, dem Drang zu widerstehen, mich wieder in meinem Bett zu verkriechen und warf stattdessen einen Blick in meine Vorratskammer. Weil ich merkte, dass ich keine Lebensmittel mehr im Vorrat hatte und ich nicht zum Laden gehen konnte, um einzukaufen, ließ ich Marthe eine Nachricht zukommen und sie versorgte mich mit Lebensmitteln. Ich bereitete mir eine Kleinigkeit zu essen, doch selbst diese wenige Arbeit schwächte mich und ich legte mich wieder zurück ins Bett. Nicht nur körperlich, sondern auch seelisch fühlte ich mich ausgelaugt. Aber wenigstens war diese Mahlzeit ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.
Aus einer Eingebung heraus begann ich irgendwann, mit meinem Kind zu sprechen. Zunächst war es nur ein Versuch, die drückende Stille in meiner Stube zu übertönen, doch nach ein paar Tagen wurde es schon zur Normalität. Ich teile alle meine Gedanken mit meinem ungeborenen Kind, obwohl ich noch nicht einmal sicher war, dass es mich hören konnte. Es tat gut, einen Zuhörer zu haben. Sobald ich meine Ängste und Sorgen, beispielsweise in Bezug auf meine Zukunft laut aussprach, merkte ich, wie eine Last von meinen Schultern fiel.
Dadurch fühlte ich mich leichter und fand neue Energie, um die Kontrolle über meine Leben wiederzuerlangen.
Ich tat mein Bestes, um mein Leben wieder auf die Reihe zu bekommen, doch von Zeit zu Zeit packte mich die Einsamkeit und ich lag Stunden im Bett ohne jegliche Motivation. Manchmal weinte ich still vor mich hin. Manchmal erfüllte mich aber auch ein Motivationsschub und ich putze meine Wohnung, räumte auf, las ein Buch oder malte etwas und betete viel zu Gott. Es war eine Achterbahnfahrt der Gefühle.
Nach einigen Tagen allerdings, schaffte ich es, eine Routine für mich zu entwickeln:
Bei Sonnenaufgang stehe ich auf und beginne den Tag mit ein paar Dehnübungen. Ich wasche mich und probiere jeden Tag ein neues Rezept zum Frühstück aus. Haferbrei, Stullen, Früchtequark, Bananenbrot und vieles mehr. Ich hätte niemals gedacht, dass ich eine Passion fürs Kochen und Backen entwickeln könnte, aber es macht mir viel Spaß, neues auszuprobieren. Obwohl ich am Anfang versuchte, diese mütterlichen Gefühle zu verdränge, begann ich, mehr und mehr über das Kind nachzudenken. Ich überlegte, welche Lebensmittel ihm oder ihr gut tun würden, ob es wohl ein Mädchen oder ein Junge war, ob es dem Kind gut ging und ob es vielleicht genau so einsam war wie ich. Das war natürlich ein lächerlicher Gedanke, doch irgendwie half mir die Vorstellung, dass mein Kind sich in einer ähnlichen Situation wie ich befand und ich nicht alleine war.
Um den bedrohlichen Gedanken ihren Schrecken und ihre Kontrolle über ich zu nehmen, schreibe ich sie nun immer auf. Schwarz auf weiß kann ich erkennen, welche Ängste unbegründet und irrational sind und welches Probleme sind, die ich angehen und händeln kann.
Mir ist nun klar, dass meine Beziehung zu Faust keine Zukunft hat, ich kann mich nicht auf ihn verlassen und selbst, wenn er keine bösen Absichten hatte, hat er sehr verantwortungslos und egoistisch gehandelt und ist mit Sicherheit nicht in der Lage, ein guter Kindsvater zu sein.
Ich weiß nun auch, dass mich die Schuldgefühle wegen des Tods meiner Mutter und meines Bruders wahrscheinlich ein Leben lang begleiten werden, doch dass ich sie ertragen kann. Ich habe Fehler gemacht, doch ich werde aus ihnen lernen, anstatt zu versuchen, sie zu verdrängen.
Mir ist auch klar geworden, dass ich mich auf die Geburt meines Kindes freue. Ich habe zwar immer noch Angst davor, als Mutter zu versagen oder der gesellschaftlichen Ablehnung, die mich erwartet, nicht standhalten zu können, aber ich weiß nun, dass ich alles für dieses Kind tun würde.
Ich brauche keinen Faust in meinem Leben, der mich nicht wirklich liebt, sondern immer nur auf der Suche nach exzessiven Erfahrungen ist und für den schönen Augenblick lebt.
Ich brauche auch keine Freundinnen, die nicht zu mir halten und über andere in Not herziehen wie Lieschen. Ich habe sie bis jetzt zwar noch nicht gefunden, aber ich möchte Menschen in meinem Leben, die immer hinter mir stehen und mich unterstützen und auch für mein Kind da sein werden. Ich hoffe, dass ich solche Menschen in naher Zukunft finden werde.
Aber zugleich habe ich endlich auch verstanden, dass ich Dinge alleine schaffen kann. Es wird bestimmt nicht einfach werden, aber ich habe mich in der Quarantäne selbst besser kennengelernt, habe mir meine Schwächen und Stärken vor Augen führen können und habe gelernt, mir selbst und meinen Instinkten zu vertrauen. Ich möchte in Zukunft nicht mehr abhängig sein von jemand anderem, sondern mir selbst ein Anker sein und auch besser auf meine mentale Gesundheit achten. Nur, wenn ich es selbst schaffe, geerdet im Leben zu stehen und mit Selbstvertrauen in die Zukunft zu sehen, kann ich meinem Kind ein stabiles Umfeld ermöglichen.
Natürlich erschwert die Pandemie noch einmal alles, aber ich bin zuversichtlich, dass Gelehrte wie Faust möglicherweise einen Impfstoff entwickeln können und bis dahin werde ich versuchen, mein Kind und meine Mitmenschen und auch mich selbst zu schützen.
Ich glaube inzwischen, dass diese Quarantäne genau das war, was ich gebraucht habe, um zu mir selbst zu finden und meinen eigenen Wert zu erkennen. In der Zeit, in der ich mit Faust zusammen war, war ich emotional von ihm abhängig und habe mich ständig klein und wertlos gefühlt, bzw. habe mich gefühlt, als sei mein Wert von seiner Liebe zu mir abhängig.
Aber sobald ich völlig auf mich alleine gestellt war, habe ich erkannt, dass ich auch alleine vollständig bin und niemanden brauche, der mir sagt, dass ich genug bin und gut so wie ich bin. Diese Art von Selbstliebe möchte ich auch auf jeden Fall meinem Kind vermitteln.
Es wird bestimmt hart werden in nächster Zeit und ich werde nicht immer so positiv auf die Zukunft schauen wie in diesem Moment, aber ich habe eine grundlegende Sicherheit gewonnen, die ich auf jeden Fall versuchen werde, zu bewahren. Jetzt freue ich mich erst einmal auf die Geburt meines Kindes und mein neues Kapitel im Leben als alleinerziehende Mutter. Ich bin gespannt, was die Zukunft bringen wird!

Margarete

 



Schuljahr:

März 2024

Februar 2024

Januar 2024

Dezember 2023

November 2023

Oktober 2023

September 2023

August 2023