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Ein ergänzendes Kapitel zu "Der gute Mensch von Sezuan" (Bertolt Brecht) · 24. Februar 2021

Das 1941 erschienene und 1943 erstmals aufgeführte Schauspiel »Der gute Mensch von Sezuan« ist eines der bekanntesten Werke Bertolt Brechts und ein klassisches Beispiel des »epischen Theaters«. Der Autor thematisiert darin den Konflikt von Moral und Überleben und den Versuch, ethische Grundsätze allen Umständen zum Trotz aufrechterhalten zu wollen.
Erzählt wird vom Schicksal der gutherzigen Shen Te in der chinesischen Provinz Sezuan, die auf Grund ihrer Lebenssituation gezwungen ist, in die Maskerade ihres skrupellosen Cousins_ Shui Ta’s zu schlüpfen.

Ein kleines Zimmer
Es ist der Tag vor der Hochzeit.
SHEN TE Morgen ist es endlich soweit. Die Hochzeit mit Sun, meinem kühnen Flieger, steht kurz bevor. Gerungen habe ich mit mir. Aber es ist richtig, ich fühle es. Ich will mit ihm gehen, den ich liebe.
Shen Te schaltet gedankenverloren den Fernseher ein. Die Pressekonferenz von Gesundheitsminister Shu Fu zur aktuellen Lage der Corona-Pandemie erscheint.
SHU FU Sehr geehrte Bürger von Sezuan, die Situation verschlimmert sich. Die Zahlen steigen. Wir haben inzwischen mehr als 1000 Todesfälle. Es muss Rücksicht auf die Schwachen in unserer Gesellschaft genommen werden… Halten sie 1,5 Meter Abstand zueinander und tragen sie in Menschenmengen eine Maske. Wir müssen die Kontakte einschränken. Deshalb hat sich die Regierung dazu entschlossen, nun private Feiern jeder Größe zu verbieten. Davon betroffen sind auch Geburtstage, Taufen und Hochzeiten. Die Regelungen gelten mit sofortiger Wirkung.
SHEN TE (denkt traurig nach) Die armen Menschen! So viele gestorben… Man muss doch etwas tun können. Ein Impfstoff könnte die Rettung sein. Aber mein kleines Pharmaunternehmen hat nicht genügend Mittel. Ich habe noch wenig Einnahmen und doch viele Ausgaben. Wir würden unser ganzes Geschäft aufs Spiel setzen. Aber ich will es doch versuchen. Wer nicht hilft, wo Not ist, der ist nicht gut und gut will ich sein. Die Menschen brauchen uns. Die armen Menschen.
Shen Te realisiert gerade erst die Bedeutung dieser Information.
Mit sofortiger Wirkung hat Shu Fu gesagt. Mit sofortiger Wirkung. Die Hochzeit. O nein. Ich muss sofort zu Sun und mit ihm sprechen.

Im Park
Sun, Sun, wo bist du? Ich muss dir mitteilen, was ich schreckliches gehört habe.
SUN (tritt auf) Shen Te, was bist du so aufgeregt? Beruhige dich.
SHEN TE Alle privaten Feiern sind verboten. Die Hochzeit kann nicht stattfinden.
SUN (entrüstet) Was redest du denn da? Wir können heiraten. Wir müssen heiraten.
SHEN TE Nein. Die Menschen sollen zuhause bleiben. Das Virus wird schlimmer. Es sterben so viele daran. Es ist ganz furchtbar. Ich will mein Geld dazu nutzen einen Impfstoff zu entwickeln. Du kannst es nicht haben.
SUN DU willst einen Impfstoff entwickeln? Du verspielst dein Geld, nur weil dir die Menschen leidtun. Du solltest es lieber mir geb. Für unsere Zukunft. Wir sind doch Liebende.
SHEN TE (zum Publikum) Ich liebe ihn. Das ist wahr. Wie soll man sich von allen Schwächen freimachen, vor allem aber von der tödlichsten, der Liebe? Sie ist ganz unmöglich! Sie ist zu teuer! Doch seht, er liebt nicht. Er liebt die Menschen nicht. Es muss ein Zeichen sein. (Shen Te läuft davon)

Altstadt
Es sind einige Tage vergangen. Die meisten Geschäfte sind geschlossen. Dennoch sind viele Menschen zu sehen.
SHEN TE (geht suchend die Straße entlang) Entschuldigen Sie?
PASSANT (nah herantretend) Ja, wie kann ich ihnen helfen?
SHEN TE _ (höflich)_ Würden sie bitte etwas mehr Abstand halten? Shen Te zieht ihre Maske auf. Der Mann bleibt stehen und schaut sie ungläubig an. Ich suche nach Nummer 87. Kennen sie sich aus?
PASSANT Was wollen sie denn bei der alten Betteltochter Di Shin? Ihre Baracke ist dort drüben .
SHEN TE Ich war für sie einkaufen. Sie ist doch alt und das Virus könnte sehr gefährlich für sie sein. Sie sollte nicht in die vollen Läden müssen.
PASSANT Heute ist es das Virus, morgen fehlt das Geld. Sie sollten sich nicht ausnehmen lassen. Betrug! Alles Vorwand und Lüge! Sie werden noch an mich denken. (verschwindet in der Menge)
SHEN TE (murmelt vor sich hin) Sie werden noch an mich denken. Sie werden noch an mich denken? Bestimmt werde ich das…
Mehrere Personengruppen treten fröhlich lachend und dicht beieinander auf.
GRUPPE 1 Noch nie wurde uns so viel Zeit geschenkt! Keine Termine mehr! Kontakte einschränken? Das ich nicht lache. Stehlen lassen wir uns unsere Freiheiten sicher nicht.
GRUPPE 2 Den ganzen Tag in Jogginghose und nach der Arbeit, wie man es nennt, kann ich direkt meine Freunde für einen entspannten Abend einladen. Die Polizei weiß ja nichts davon und kontrollieren dürfen sie es auch nicht.
Shen Te blickt den Gruppen traurig hinterher und geht zu Di Shin.
DI SHIN Guten Tag, Fräulein Shen Te. Wie geht es ihnen?
SHEN TE Gut. Noch ist es in Ordnung. Zu helfen, lässt mich gut fühlen.
DI SHIN Das ist schön. Ich wollte sie auch bitten, mir etwas Geld zu leihen.
SHEN TE Das kann ich nicht. Ich werde alles für den Impfstoff nutzen.
DI SHIN Ich brauche es aber. Wie soll ich gesund bleiben ohne Decke?
SHEN TE Seien sie nicht so zornig! Ich versuche doch schon zu helfen (geht ab).

Zwischenspiel vor dem Vorhang
SHEN TE (zum Publikum) Es sind nun schon mehrere Wochen im Lockdown. Die Zahlen steigen weiter. Wir haben noch keinen Impfstoff. Er ist zwar auf einem guten Weg, aber mein Geld wird langsam knapp. Und die Menschen? Die Menschen verhalten sich noch immer rücksichtslos. Wenn ich für Gefährdete wie Di Shin einkaufen gehe, muss ich oft Menschengruppen sehen, die gemeinsam ihres Weges gehen. Ja sogar entspannt und unbeschwert. Niemand hält sich an die Regeln. Keiner will sich in seinen Freiheiten einschränken lassen. Jeder gefährdet den anderen. (Pause) Aber – ich muss ehrlich sein. Es ist auch für mich schwieriger geworden. Die Isolation Zuhause und die fehlenden Kontakte. Es ist kaum noch auszuhalten. Ich fühle mich alleine und motivationslos. Das Geld geht mir aus und niemand hilft mir. Wie gerne würde auch ich in Gesellschaft sein, in die Kneipe gehen, einen Abend mit meinen Freunden verbringen. Es ist so einsam…

>>Das Lied von der Einsamkeit<<
Einsamkeit hat unser Land ereilt.
Ob Mutter Natur eine Lektion erteilt?
Ein mancher bangt
wie er die Normalität zurückerlangt
während ein anderer die Not,
die allen droht,
versteift
nicht begreift.
Lange Isolation,
mentale Erosion,
wem entgeht das schon.
Doch jene, die achtlos wegsehen,
ihren Alltag sorglos begehen,
die Alte, Kranke, Schwache missachten,
nur um ihre Freiheit trachten,
die werden glücklich sein
und die anderen? – Bleiben allein.

Shen Te holt den Anzug und die Maske des Shui Ta hervor und verkleidet sich.

Kleine Kneipe
Shui Ta betritt freudig und hemmungslos die Räumlichkeiten. Einige Männer und der Wirt befinden sich dort. Die Stimmung ist ausgelassen.
SHUI TA Guten Abend meine Herren! Ein Bier für mich.
WIRT Einen Moment bitte.
GAST 1 Shui Ta, ich hörte ihre Kusine arbeitet an einem Impfstoff und geht für alte Menschen einkaufen. Wieso setzt sie ihr ganzes Geld aufs Spiel und sie greifen nicht ein?
SHUI TA Ja, das tut sie. Sie lässt sich nicht davon abhalten. Will allen helfen, alle retten, statt sich um ihre Sachen zu kümmern.
GAST 2 Retten? Retten wovor denn? Nur eine Grippe. Alles Humbuck!
GAST 3 Richtig! Wir lassen uns sicher nicht einschränken von solchen Leuten. Darauf lasst uns trinken, lasst uns feiern! (hält das Glas hoch)
ALLE Auf die Freiheit!
Man hört Gelächter, belebte Gespräche und klirrende Gläser.

Pharmaunternehmen
Im Laufe der Zeit hat Shen Te mit ihrem Impfstoff große Fortschritte gemacht. Shu Fu besucht sie.
SHU FU Fräulein Shen Te, ich hörte ihr Impfstoff-Kandidat ist sehr viel versprechend. Können sie mir mehr zu den Zahlen sagen?
SHEN TE Guten Tag Herr Shu Fu. Ja, unsere Tests zeigen, dass der Impfstoff wirkt. Wir rechnen mit einer Wirksamkeit von 90% und haben bisher keine bedenklichen Nebenwirkungen entdeckt. Es sieht gut aus. Vielleicht können wir die Menschen retten.
SHU FU Wann können sie mit der Lieferung beginnen?
SHEN TE Hier liegt das Problem… Unser Geld reicht nicht. Die Forschung hat uns alle Mittel gekostet. Die Produktion ist einfach zu teuer.
SHU FU Seien sie unbesorgt wegen des Geldes. Ich stelle ihnen einen Blankoscheck aus. Die Stadt braucht sie und den Impfstoff. Wir setzen alles daran, dass sie produzieren können. Nehmen sie was sie brauchen! (stellt einen Scheck aus)
SHEN TE Damit kann ich sobald der Impfstoff zugelassen ist, sehr viel produzieren. Schon in wenigen Monaten kann die Hälfte von uns immun werden! Sagen sie es allen und machen sie ihnen Hoffnung Herr Shu Fu!

Wenige Monate vergehen. Der Impfstoff ist zugelassen worden. Einige Gesundheitsminister haben bei ihr bestellt. Shui Ta und Meng Ti treten auf.
MENG TI Guten Tag, ich bin mit Shen Te verabredet.
SHUI TA Guten Tag, sie werden mit mir verhandeln. Die Geschäfte übernehme ich. Es braucht einen guten Geschäftsmann. Shen Te sollte solche Dinge nicht machen.
MENG TI Also gut. Ich bin hier um mit ihnen die Kooperation der Produktionsstellen zu besprechen. Sie planen einen Ausbau und ich kann ihnen helfen. Wir stellen die Fläche und Instrumente zur Verfügung und sie entwickeln mit uns gemeinsam.
SHUI TA Richtig. Wie lange wird der Ausbau in Anspruch nehmen?
MENG TI Etwa zwei Monate. Wir verlangen einen Anteil für unsere Unterstützung.
SHUI TA Wie hoch?
MENG TI 30%
SHUI TA Zu viel! 20.
MENG TI 25 als Kompromiss?
SHUI TA Abgemacht. (beide gehen ab)
Der Ausbau beginnt. Einige Wochen später. Gesundheitsminister LI BO tritt auf.
LI BO Shen Te, wo sind sie?! Wo sind die Impfstoffe? Wieso erhalten wir so wenige Lieferungen? Wir mussten Impftermine absagen!
SHUI TA Wir bauen aus und mussten dafür die Produktion herunterfahren. Die nächsten zwei Monate werden wir allerdings deutlich unter der versprochenen Menge bleiben. Wir wollen danach umso mehr Impfstoff herstellen, um den vielen Bestellungen gerecht zu werden.
LI BO Dann brauchen wir so viel sie haben!
SHUI TA Wir haben wirklich wenig. Die anderen Gesundheitsminister haben vor ihnen bestellt und schon viel gezahlt.
LI BO Aber unsere Zahlen sind besonders hoch. Vor allem haben wir so viele Tote. Wir brauchen dringend ihre Hilfe!
SHUI TA Nun ich verstehe sie. Alle wollen den Impfstoff. Ich muss darüber nachdenken…
Li Bo geht ab.
SHUI TA (nimmt einen Teil seiner Verkleidung ab, zum Publikum) Wer soll den Impfstoff denn nun erhalten? Sollen ihn diejenigen erhalten, die zuerst einen Vertrag hatten und auch bezahlen können oder diejenigen, die ihn am nötigsten brauchen? Wir brauchen das Geld, aber wir müssen auch solidarisch sein…?

Epilog
Vor den Vorhang tritt ein Spieler und wendet sich entschuldigend an das Publikum.
Verehrtes Publikum, jetzt kein Verdruß:
Wir wissen wohl, das ist kein rechter Schluß.
Wir stehen selbst enttäusch und sehn betroffen
Den Vorhang zu und alle Fragen offen.
Was könnt die Lösung sein?
Wir konnten keine finden, nicht einmal für Geld.
Soll es ein andrer Mensch sein? Oder eine andre Welt?
Der einzige Ausweg wär aus diesem Gemach:
Sie selber dächten auf der Stelle nach
auf welche Weise man hier gerecht
entscheid wem ist das Anrecht.
Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluß!
Es muß ein guter da sein, muß, muß, muß!

Ivette Sch., MSS 13

 



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