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Ein in Stoff gehülltes Bekenntnis zu Christus? · 16. April 2012

Zur Frage der historischen Echtheit des Heiligen Rocks

Ein Artikel von Michael Hesemann, publiziert in kath.net. am 13.04.2012


(Foto: Sr. Theodore)

Jahrhundertelang galt er als Mythos, berichteten nur vage Überlieferungen von seiner Existenz. Hat die hl. Helena tatsächlich den „Heiligen Rock“ nach Trier gebracht? Das behauptete erstmals im 12. Jahrhundert die Schriftensammlung der „Gesta Treverorum“ („Die Taten der Trierer“), die 1105 im Benediktinerkloster St. Eucharius beim Grab des hl. Matthias vor den Mauern Triers be-gonnen wurde. Die Reliquien des Apostels habe die Mutter Konstantins des Großen „zusammen mit dem Rock und dem Nagel des Herrn, dem Zahn des hl. Petrus, den Sandalen des hl. Apostels Andreas und dem Haupt des Papstes Andreas“ ihrer „Heimatstadt“ übersandt. Am 23. Oktober 1121 wurde der neue Nikolausaltar im Westchor der Trierer Domkirche eingeweiht, in den man wohl die Reliquie einmauerte, bevor sie der Trierer Bischof Johann I. von dort am 1. Mai 1196 in den neuen, dem hl. Petrus geweihten Hochaltar im Ostchor überführte. Dann wurde es erneut drei Jahrhunderte lang still um die „Tunika des Herrn“, bis Kaiser Maximilian I., als er zum Reichstag des Jahres 1512 nach Trier kam, die Suche nach der Reliquie befahl. Und tatsächlich: Als die Kleriker des Domkapitels den Bo-den unter dem Hochaltar öffneten, stießen sie auf einen Hohlraum, der von einer schweren, steinernen Deckenplatte bedeckt war. Kaum hatte man sie mit Hilfe hölzerner Streben langsam beiseite gescho-ben, stieg ein junger Kaplan in das unterirdische Versteck, in dem drei Reliquienschreine standen. In einem von ihnen, dem zeitgenössischen Bericht zufolge einer elfenbeinverzierten Holztruhe, befand sich tatsächlich, zusammen mit einer fast unlesbaren Beschriftung, eine löchrige, brüchige, uralte Tu-nika.
Weitere 450 Jahre hat es gedauert, bis nach fast endlosen Kontroversen der „Heilige Rock zu Trier“ erstmals wissenschaftlich untersucht wurde. In den Jahren 1973/74 hatte die renommierte Berner Tex-tilarchäologin Dr. Mechthild Fleury-Lemberg, die später das Turiner Grabtuch und die Kutte des hl. Franz von Assisi restaurieren sollte, die Gelegenheit, die angebliche „tunica Domini“ zu begutachten. Dabei stellte sie fest, dass der Heilige Rock, wie er in Trier gezeigt wird, gar nicht die eigentliche Re-liquie ist, sondern gewissermaßen ihr Reliquiar. Der fromme Pilger sieht nicht etwa das vermeintliche Gewand Christi, sondern eine auf der Vorderseite mit Falten verzierte liturgische Tunika aus dem 16. Jahrhundert. Doch sie ist nur eine Hülle. In ihrem Inneren befinden sich elf Schichten von Textilien unterschiedlichen Alters und Zustands. Tüll- und Seidenfutter aus dem 19. Jh. sowie ältere Gaze- und Taftseide umgeben eine fragile Schicht verfilzter Wolle hohen Alters, zusammengehalten durch die Überreste brüchig gewordener orientalischer Seidengewebe aus dem 8. bis 9. Jahrhundert. Nur diese Wollschicht kann einen Anspruch darauf erheben, als die eigentliche Reliquie zu gelten.

Tatsächlich geht aus den zeitgenössischen Berichten hervor, dass der Heilige Rock damals zu einem handlichen Bündel zusammengefaltet in seinem elfenbeinverzierten Kästchen lag. So wurde Maximi-lian I. die Reliquie zunächst als Paket gezeigt. Erst als der Kaiser ausdrücklich darauf bestand, sie entfaltet zu sehen, mussten sich die Domherren etwas einfallen lassen. Um das ungeteilte Gewand des Herrn nicht als unwürdige und blamable Stoffruine zu präsentieren, kamen sie wohl auf die Idee, es in das Innere einer zeitgenössischen Tunika einzunähen, die ihre einstige Form erahnen ließ und damit quasi als „sprechendes Reliquiar“ diente. Erst 1891, als das „Kerngewebe“, wie es im Protokoll einer Ordensschwester heißt, „in tausend und tausend Partikel“ zerfallen war, entschloss man sich zu einer drastischeren Lösung: Man bestrich das gesamte Stoffkonglomerat mit Gummitragant, wodurch es verhärtete und seine heute charakteristische braune Farbe annahm. Leider wurde damit auch das Kern-gewebe jeder Möglichkeit einer Altersbestimmung mit modernen Mitteln, etwa der Radiokarbondatie-rung, entzogen. So kann heute nur noch gesagt werden, dass es sich bei diesem „Kerngewebe“ um ein offenbar sehr altes, fragiles Gewand handelt, das in seiner Form und seinem Material durchaus einer „tunica inconsulitis“ („aus einem Stück genähter Rock“) aus der Zeit Christi entspricht, wie der Ver-gleich mit gut erhaltenen Funden aus dem Ägypten der nachchristlichen Zeit zeigt. Dieses ansonsten unscheinbare Kleidungsstück wurde offenbar schon im frühen Mittelalter hoch verehrt und, wie bei Reliquien üblich, in kostbarste Seidenstoffe gehüllt.

So ist es nicht gerade viel, was schriftliche Quellen und der textilarchäologische Befund hergeben. Schon deshalb ist es zumindest ein Zeichen von Klugheit, wenn die Trierer Wallfahrtsleitung heute darauf verzichtet, die Echtheit des Heiligen Rockes zu postulieren: Er gilt allenfalls als „Berührungsre-liquie der zweiten Ordnung“, wohl eher aber als Ikone des im Johannes-Evangelium (19,23f.) erwähn-ten Leibrocks oder, um es mit den Worten des offiziellen Wallfahrtsführers aus dem Jahre 2010 zu sagen: als „in Stoff gehülltes Bekenntnis zu Jesus Christus“.

Damit scheint sich die Trierer Kirche den Angriffen „aufgeklärter“ Kritiker gebeugt zu haben, die schon im 19. Jahrhundert minutiös zu erklären versuchten, weshalb der Heilige Rock auf keinen Fall authentisch sein könne. Denn obwohl im Fall der Trierer Reliquie durchaus auch Skepsis angebracht ist, so gibt es doch Indizien, die für die mit ihr verbundene Überlieferung sprechen könnten. So wer-den die frühesten Hinweise auf den Heiligen Rock zumindest ergänzt durch eine noch ältere Tradition, die von der Überführung nicht spezifisch genannter Reliquien durch die Kaisermutter Helena berich-tet. Bereits Mitte des 9. Jahrhunderts erwähnte der französische Mönch Altmann von Hautvillers, die Heilige habe eine Truhe mit Reliquien nach Trier, „in ihre Heimatstadt“, bringen lassen. In einer spä-teren Schrift wird präzisiert, der Empfänger sei der Trierer Bischof Agritius gewesen und die Reli-quien stammten aus dem Heiligen Land. Zudem habe sie der Trierer Kirche „ihr Haus“ gestiftet, das dann zur Bischofskirche ausgebaut worden sei. Während man heute weiß, dass Helena aus Drepanum in Bithynien – der heutigen Nordwesttürkei – stammte, ist zumindest sicher, dass sie ab 307 am Hofe ihres Sohnes Konstantins des Großen in Trier residierte, bevor dieser sie 313 nach Rom holte. Wahr-scheinlich wurde sie sogar in Trier durch den damaligen Bischof Agritius getauft, nachdem ihr Sohn im Oktober 312 im Zeichen des Kreuzes an der Milvischen Brücke gesiegt, die Jahrhunderte der Christenverfolgung beendet und den Grundstein für den Aufbau des christlichen Abendlandes gelegt hatte.

Tatsächlich spricht vieles für Altmanns Behauptung, ihr „Haus“ sei zu einer Bischofskirche umgebaut worden. Als der Archäologe Theodor Konrad Kempf in den Jahren 1945-46 und 1965-1968 unter dem Trierer Dom Ausgrabungen vornahm, förderte er Überreste des einstigen kaiserlichen Palastes zutage. Gute drei Meter unter dem Estrich des Ostflügels stieß er auf einen „Prunksaal“ von sieben mal zehn Metern Größe, dessen Decke mit herrlichen Fresken bedeckt war. Wie Münzfunde belegen, wurde mit dem Umbau eines Palastflügels zur Südkirche (d.h. der Vorläuferin der heutigen Liebfrauenkirche der Trierer Doppelbasilika) vor dem Jahre 315 begonnen, also unmittelbar nach dem Umzug der Kaiser-mutter nach Rom. Gleich nach ihrem Tod 328 begann man, offenbar in ihrem Andenken, auch den Hauptflügel des Palastes einschließlich seiner geräumigen Audienzhalle in die Nordkirche (den heuti-gen Dom) umzuwandeln. Ähnliches geschah damals mit ihrer römischen Residenz, dem Sessoriani-schen Palast, der nach ihrem Tod zur Basilika „Santa Croce in Gerusalemme“ umgebaut wurde, in der seitdem die von ihr aus Jerusalem mitgebrachten Passionsreliquien verehrt werden. Und in Trier? Er-staunt stellte Kempf fest, dass die Nordkirche, der heutige Dom, nie einen spätantiken Altar besaß. Stattdessen wurde auf einem über Stufen erreichbaren Podest in Imitation der jerusalemer Grabeskir-che eine zwölfeckige „monumentale Memoria“ errichtet, die von zwölf monolithischen Säulen aus Granit und Sandstein umgeben war. Das, so der Archäologe, kann nur bedeuten, dass hier nicht das Messopfer gefeiert, sondern eine bedeutende „Herrenreliquie“ verehrt wurde. Erst nach dem Einfall der Barbaren (ab 353 n.Chr.) habe man auf ihre Zurschaustellung verzichtet und sie aus Sicherheits-gründen eingemauert. Frühchristliche Pilgergraffiti speziell mit Christusanrufungen, die Kempf in diesem Bereich freilegte, belegen einen spätantiken Pilgerverkehr. Welcher Reliquie, so möchte man fragen, galt diese besondere Verehrung, wenn nicht dem Heiligen Rock?

Noch heute befindet sich im Trierer Domschatz eine Reliefplatte aus Elfenbein, die von Kunstge-schichtlern als Vorderwand eines Reliquiars identifiziert wurde; von einem Falz umgeben war sie einst in eine Truhenwand eingelassen. Gut möglich ist, dass sie von der elfenbeinverzierten Reliquientruhe des Heiligen Rocks stammt. Sie zeigt eine Reliquienübertragung vom Kaiserpalast in Konstantinopel hin zu einer Kirche, die sich gerade im Bau befindet. Vor ihr steht die hl. Helena, das „wahre Kreuz“ im Arm. Experten datieren sie in das 4.-6. Jahrhundert. Wird hier die Überführung der „tunica Christi“ in den Trierer Dom dargestellt? Zumindest auszuschließen ist es nicht.

 



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