Experimentelle Photographie · 2. Februar 2012

(von Jessica Kuch)

„Ein Gebäude ist immer ein Kompromiss aus Sicherheit, Wirtschaftlichkeit und Funktionalität.“ [Monika Etspüler, dt. Journalistin]

Rein rational gesehen, sind Gebäude von zweckhafter Natur. Gebaut, um uns Menschen Schutz vor Kälte, Regen und Wind zu geben. Sie sind stille Wächter, verlässlicher Fluchtort, geben Raum für Entfaltung und das schon seit mehr als 3000 Jahren.
Doch was ist es, was Gebäude vollkommen erscheinen lässt?
Mit dieser Frage habe ich mich in meiner experimentellen Fotografie näher beschäftigt.

Menschen, vernunftbegabte Wesen, sahen schon in frühen Jahren die Funktionalität eines Gebäudes. Sie schmückten diese Bauten mit Adjektiven wie gemütlich, wohnlich, sicher, … Doch wie bei fast allen Dingen im Leben, lässt sich auch hierzu Gegensatzpaare finden.
Oftmals haben Gebäude solch einen negativen Charakter, wenn sie leer, verlassen, unbehaglich und ohne Anzeichen von menschlichem Leben sind. Interessant jedoch ist, dass genau dieses Kontroverse sich in ein und demselben Gebäude abspielen kann.
Diese Erfahrung habe ich durch mein durchgeführtes Experiment erlangt, und versuche es nun, anhand der folgenden Bilder, darzustellen.
Unsere Schule, täglicher Treffpunkt von ca. 900 Schülerinnen und 70 Lehrerinnen und Lehrer, stellt das perfekte Exempel meiner Theorie da. Bereits um viertel nach Sieben trudeln die ersten verschlafenen Gesichter in Klassenräume und Küchen ein. Lichter erfüllen die Gänge, offene Türen lassen Gemurmel und Gelächter hindurch.
Belebt. Erfüllt. Vollkommen.
Halb zehn, der Schulhof, Kiosk und die Gänge voll von Schülern, Lärm und Bewegung. Egal wie wolkenbehangen der Himmel ist, die bunten Jacken der kleinen Schülerinnen leuchten und springen herum wie kleine Glühwürmchen.
Fußtreten, Fangen, doppeltes E, Verstecken,.. – Spiele, die es meiner Kamera erschweren, die quirligen Kinder auf einem Bild einzufangen. – Kurz nach ein Uhr: Der Bacheingang ähnelt einem Bahnhof. Die kurz zuvor stillsitzenden, auf ein Uhr wartenden Menschen springen auf und verteilen sich in alle Richtungen. Kaum einer blickt noch einmal hinter sich, sondern konzentriert sich auf den ankommenden Bus, das parkende Auto oder die wartende Mutter. Was bleibt ist eine von jetzt auch gleich verlassene Schule. Wie weggefegt.
Unbelebt. Still. Einsam.
Das einzige was noch an Leben erinnert, sind die vollgeschriebenen Tafeln, die vergessenen Jacken und Mäppchen, die gefüllten Mülleimer – und, ein besonders für mich wichtiges Indiz – die noch vom Durchzug der Kinder wehende Heilig Rock Flagge mit all seinen kleinen Stofffetzen.

Um ehrlich zu sein, ein wirklich unbehagliches Gefühl überkommt mich nicht, aber ein ungewöhnliches. Niemand käme auf die Idee, länger in der Schule zu bleiben, als nötig. Aber wenn man dies einmal bewusst zulässt, erlebt man die Schule von einer ganz anderen Seite. Ob positiv oder negativ kann ich nicht sagen. Das kommt immer darauf an, welches Verhältnis man zu dieser Schule pflegt, oder schlichtweg, welcher Typ Mensch man ist.
Wertschätzung des Gebäudes ist ein Gefühl, welches ich besonders stark empfunden habe. Man lenkt seinen Fokus, sein Augenmerk auf andere, kleinere Dinge. Man schenkt der Schule die Wertschätzung zurück, die sie uns jeden Tag aufs Neue bietet.
Deswegen entschloss ich mich bei den unbelebten Bildern immer einen schwarz /weiß Fokus zu benutzen. Er demonstriert den besonderen Augenmerk, den man trotz der einsamen und verlassenen Atmosphäre behalten sollte, um dem besonderen Gebäude, welches wir tagtäglich für uns in Anspruch nehmen, einen Wert entgegen zu bringen.

„Drei Dinge sind bei einem Gebäude zu beachten: daß es am rechten Fleck stehe, daß es wohl gegründet, daß es vollkommen ausgeführt sei.“ [Johann Wolfgang von Goethe]