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Aus der Traum... Teil 3 des Brasilien-Blogs · 30. September 2010

von Christina Zerfaß. Auch diesmal ohne Umlaute, dafür voller interessanter Erfahrungen unserer Abiturientin. Die Teil 1 und 2 finden Sie in der Sektion “Nachrichten” im September 2010.


Acai, das beste Essen Brasiliens – findet Christina

Heute melde ich mich zum letzten Mal aus Brasilien – in wenigen Stunden werde ich im Flugzeug Richtung Deutschland sitzen. Gerade die letzte Woche verging wie im Fluge und ich kann noch nicht recht glauben, dass mich bald der deutsche Alltag mit all seiner Hektik, Organisation und vor alle m dem Herbstwetter wieder einholen wird.

Fast jeden Tag hat meine Gastschwester etwas mit unternommen und haeufig kamen auch ihre Freundinnen mit. Zum Beispiel waren wir an einem Abend in einer typischen brasilianischen Bar, in der es Cuxinhas (gefuellte Kartoffelteigtaschen) und eine Samba-Live-Band gab. An einem anderen Nachmittag fuhren wir nach Holambra, eine kleine Stadt nicht weit von Campinas, die durch ihre vielen Einwohner hollaendischer Herkunft gepraegt ist.

Zur Zeit findet dort die Expoflora, das ist die groesste Blumenausstellung Suedamerikas, statt. Neben Blumen (darunter eine neue Kreation: eine bunte Rose, sieht seeeehr natuerlich aus…) gab es dort natuerlich auch hollaendische Spezialitaeten, Windmuehlen und traditionelle Volkstaenze in Holzschuhen. Das war fuer mich doch recht bizarr: So weit weg von Europa und dann eine hollaendische Stadt, die zugegebenermassen alle Klischees erfuellte und uebertraf (bis auf Tulpen, fuer die es hier leider zu warm ist).

Ein besonderes Ereignis war die Hochzeit einer Cousine meiner Gastschwester. Abgesehen davon, dass der Hochzeitsmarsch nur vom Band gespielt wurde (es gab keine Orgel), aehnelte die Zeremonie weitgehend einer deutschen. Nur in einem Moment war ich voruebergehend verdutzt: Als die gesamte Hochzeitsgesellschaft zum Segen des Brautpaares einen Arm mit flacher, ausgestreckter Hand erhob… Dabei fuehlte ich mich ziemlich unwohl, loeste der Anblick doch unwillkuerlich andere Assoziationen in mir aus.

Die anschliessende Feier war ebenfalls ein tolles Ereignis. Es gab im Anschluss an das Buffet fuer alle Gaeste selbstgemachte und liebevoll verzierte Pralinen, die einen typischen Nachtisch fuer solche Feiern darstellen. Der Hochzeitscaipirinha durfte natuerlich auch nicht fehlen, es gibt ihn mit allen moeglichen Fruchtsorten. Die Tanzflaeche platzte aus allen Naehten und die Oma tanzte mit ihrem Enkel zu den beliebtesten brasilianischen Liedern.

Die folgenden Tage waren sehr von Geburtstagen gepraegt, wir feierten sie ein einer Studentenwohnung, in einem japanischen Restaurant (ich glaube, hier gibt es mehr Sushi als in Japan selbst!) oder – wie an diesem Wochenende – bei der Freundin meiner Gastschwester zu Hause. Die Party dort war wirklich beeindruckend: Um den Pool herum waren die Tische fuer die Gaeste aufgebaut, neben der Grillstelle sorgte ein Barkeeper fuer Getraenke und die frisch gebackenen Pizzen aus dem Steinofen wurden selbstverstaendlich von Kellnern serviert….!

Zum Ende meines Brasilienaufenthaltes durfte ich dann noch entdecken, dass deutsche Buerokratie tatsaechlich von ihrer internationalen Variante uebertroffen werden kann: Da ich die letzten zwei Wochen in der Uni-Stadt meiner Gastschwester verbracht hatte, wollte ich von dort aus direkt zum internationalen Flughafen in São Paulo reisen, um mir den ersten Flug von Rio Preto dorthin und den mehrstuendigen Aufenthalt zu ersparen. In Rio Preto hatten wir bereits am Flughafen nachgefragt, ob eine Stornierug moeglich sei (Antwort: ja). Optimistisch kauften wir also ein Busticket fuer die nur zweistuendige Fahrt nach São Paulo. Als wir nach vielem Telefonieren (jeder meinte, es laege nicht in seiner Kompeten z nur einen der beiden Fluege zu streichen) in einem Buero der Airline um Hilfe baten, rechnete uns die Dame dort aus, es wuerde mich eben 500 Dollar kosten. Das hiess also, dass ich den Bus umbuchen und nochmal nach Mirassol zurueckkehren musste, um am naechsten Tag mit dem Flugzeug zurueck nach Sao Paulo zu fliegen…

So, mittlerweile bin ich schon wieder zurück in Deutschland und habe gerade meine Probleme, mich an die andere Tastatur zu gewöhnen. Aber bevor ich den letzten Bericht mit zu viel Abstand schreibe, werde ich jetzt noch einmal die letzten Beobachtungen schildern!

Spitznamen: Ich hatte ja bereits geschrieben, dass ich seit dem ersten Tag in Brasilien nur noch „Chris“ genannt wurde. Mit der Zeit merkte ich, wie viele der Freunde meiner Gastschwester nur mit Spitznamen gerufen wurden. So gab es „Tomate“ (sie bekam immer schnell ein rotes Gesicht), „Banana“ (er war nach einer Fernsehserie benannt worden), „Corajoso“ (= der Mutige), „CP“ (Abkürzung für einen anderen Sp itznamen, den ich mir nicht merken konnte), „Caçapa“ (so heißen die Löcher eines Billiardtisches, das Mädchen hatte so einen großen Mund und redete ohne Punkt und Komma). Aber selbst die normalen Vornamen sind Gebilde blühender Phantasie, z.B. hieß ein Arzt im Krankenhaus Julio César.

Jobs: Für alle möglichen Tätigkeiten werden Leute eingestellt. Statt Spülmaschinen sorgen die bereits erwähnten Haushaltshilfen für den Abwasch. Am Straßenrand stehen im Moment Leute mit Fahnen von Präsidentschaftskandidaten (Anfang Oktober sind dort Wahlen), sie werden dafür „bezahlt“ (der Lohn hält sich natürlich in Grenzen), den ganzen Tag die Fahne zu schwenken… An Baustellen auf der Autobahn ste ht immer jemand mit Warnkleidung und ebenfalls einer Fahne, um anzuzeigen, dass dort eine Spur gesperrt ist. Und an kostenpflichtigen Parkplätzen verteilen Eingestellte die nötigen Parkkarten, zum Teil sogar, wenn der Automat funktioniert! Von den Tankstellenbediensteten habe ich ja bereits berichtet. Ich möchte nicht wissen, wie viel höher die Arbeitslosigkeit in Brasilien wäre, wenn all diese Leute nicht wenigstens einen Hungerlohn mit solchen Arbeiten verdienen würden.

Schleifen (in einer anderen Einkommensschicht): Nicht nur Schleifen als Schmuckmotiv sind sehr beliebt. Nein, auch Hunde kommen da nicht drum herum. Entweder wurden diesen armen Geschöpfen die Kopfhaare zusammengebunden (aber so, dass noch genug Haare übrig waren, die dem Tier in die Augen hängen konnten, damit es kaum noch etwas sehen konnte) oder Schleifen an die Ohren geheftet. Dass sie den Tieren nicht noch die Nägel lackieren ist alles! Warum sollte es da Menschen schlechter gehen? Den Babys (in diesem Fall nur den Mädchen) wird nach der Geburt ebenfalls eine Schleife an den Kopf geheftet, sobald sie drei Haare dafür haben.

Medizin: In einer Gynäkologiestunde in der Uni erzählte uns der Arzt, Brasilien sei das Land mit dem niedrigsten Kaiserschnitt, also direkt über dem Schambein (was medizinisch problematischer ist, als ein bisschen weiter oben). Grund dafür sei die knappe Bademode der Brasilianerinnen!! Weniger freiwillig ist die niedrige Lebenserwartung: Die Sterblichkeit der werdenden Mütter bei Geburten ist sehr viel höher als in europäischen Länder n, aber auch die niedrigere Lebenserwartung insgesamt zeigt, dass Brasilien noch einen Weg vor sich hat. Ein Professor (ca. 55 Jahre) sagte, die Lebenserwartung für seinen Jahrgang läge bei 62,5 Jahren! Daran hat sich aber zum Glück schon viel geändert in den letzten Jahren, vor allem die Kindersterblichkeit (die immer mit in solche Berechnungen einfließt) ist stark zurückgegangen.

Gastfreundschaft – ein erfreulicheres Thema! Sie ist nämlich unglaublich groß in Brasilien! Wenn ich irgendwohin kam, hatten die Leute häufig erst einmal ein Geschenk für mich, luden mich überall hin ein, sagten, ihre Tür stünde immer offen, falls ich einmal zurückkommen wollte. Meine Gastfamilie gab mir Geschenke für meine Eltern mit und ließ auch mich nicht verschont. Andere Schüler oder Studenten kommen in Sc haren angeströmt und wollen einen kennen lernen, Küsschen, Umarmung und ein „Bem vinda no Brasil!“ – Davon können wir uns in Deutschland wirklich eine Scheibe abschneiden! Ebenso würde in Brasilien nie ein peinliches Schweigen im Aufzug entstehen, es gibt doch immer etwas zu erzählen!

Reisen: Da es keine Züge gibt, reist man in Brasilien entweder mit Auto oder Reisebus, bei langen Strecken mit dem Flugzeug. Das ist auch nötig, denn man kann auf den Autobahnen leider nur 110 km/h fahren (da habe selbst ich, die nie wirklich schnell fährt, die Geschwindigkeit vermisst…! Vor allem, wenn auf den schnurgeraden Straßen überhaupt nichts los ist). Für Busse ist es noch schlimmer: Für sie gelten 90km/h. Dafür sind b rasilianische Reisebusse tatsächlich eine Erfahrung wert! Man reist dort wie in der ersten Klasse im Flugzeug, kann nämlich fast waagerecht liegen und Stützen für die Beine ausklappen – superkomfortabel!

…und immer wieder Verkehr: Rote Ampeln gelten nicht immer und bei Nacht schon gar nicht. Da sagt auch die Polizei nichts, weil es nämlich bei Dunkelheit zu gefährlich wäre anzuhalten!

Am Montag musste ich mich endgültig von meiner Gastfamilie verabschieden. Auch trotz der Beteuerungen, so bald wie möglich wieder kommen zu wollen (meine Gastfamilie hat mich eingeladen, nächstes Mal mit ihnen in deren Ferien nach Rio und v.a. auch Amazonia zu reisen!), fiel mir der Abschied sehr schwer. Meine Erfahrungen mit den Brasilianern, dem Land und der Kultur waren wirklich einmalig. Ich möchte auf jeden Fall zurückkommen, um noch mehr kennen zu lernen, zumal ich dieses Mal wie in einer „bubble“ (so nannte es meinte neuseeländische Gastschwester immer) gelebt hatte: hinter hohen Mauern, Zäunen und verriegelten Autos. Doch dieses wohlbetuchte Leben spiegelt lei der die Realität der wenigsten Brasilianer wieder. Als ich in Sao Paulo den Flughafen mit einem Shuttle der Airline wechseln musste, fuhren wir durch die Favelas der Stadt, über die bereits Rebekka geschrieben hatte. Leider ist dieser Lebensraum bei weitem keine Ausnahme, mein Gastvater erzählte mir von einzelnen Favelas in Rio de Janeiro, in denen zum Teil mehr als eine Million Menschen wohnen. Auch wenn die Brasilianer mit ihrer positiven Lebensart und der immer guten Laune für alles einen (Aus-)Weg (der brasilianische jeitinho) finden, heißt dies noch lange nicht, dass es keine Probleme gibt. Davon gibt es nämlich tatsächlich noch genug. Aber trotzdem: Der Umgang der Menschen hiermit ist einfach ein anderer als der der Deutschen. Ich hoffe, dass ich zumindest einen Teil davon mit nach Deutschland nehmen konnte und dass mir dieser noch ein bisschen erhalten bleibt! Denn so viel schneller als ich es mir gewünscht hätte, scheint Brasilien schon wieder unendlich w eit weg zu sein. Der Alltag in der Heimat holt einen doch schnell wieder ein und nimmt einen voll in Anspruch.

Nichtsdestotrotz werde ich noch lange von meiner Zeit in diesem wunderschönen Land zehren und möchte so bald wie möglich zurückkehren, eventuell auch für eine Famulatur im Krankenhaus. Im Dezember wird meine Gastschwester nach Deutschland kommen und ich freue mich schon, sie wieder zu sehen und ihr unser Land zu zeigen.

Zum Schluss möchte ich sehr herzlich dem Rotary Club Westerwald danken, der diesen Austausch ermöglicht hat, vor allem aber Herrn Meffert, der den Kontakt hergestellt hat. Auch wenn vier Wochen niemals reichen können, um ein Land wirklich kennen zu lernen, bietet solch ein Austausch eine wunderbare Gelegenheit, wenigstens einen Eindruck von einer anderen Kultur zu bekommen, indem man in einer Gastfamilie lebt. Eine solche Erfahrung kann durch Reisen alleine gar nicht gemacht werden!
Muito obrigada! :-) (Christina Zerfaß)

 



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